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Institute of Evolutionary Medicine (IEM)

The Evolution of COVID-19 (German)

Photo Steve Bourne, Southern bentwing bat
Fledermaus als wahrscheinliches Ursprungsreservoir des Coronavirus

                                 Photo Steve Bourne, Southern bentwing batCC BY-SA 4.0

Die Evolution des neuen Coronavirus – Woher kam das Coronavirus und wohin geht es?

Diese Seite soll helfen, ein paar häufige Fragen zur Evolution des neuen Coronavirus zu klären, soweit sich diese bereits beantworten lassen. Stand 10.6.2020, Kontakt Prof. Dr. Adrian Jäggi (adrian.jaeggi@iem.uzh.ch).

Woher kam SARS-CoV2?

Immer wieder werden Fragennach dem Ursprung des neuen Coronavirus laut; manche vermuten auch, dass SARS-CoV2 in einem Labor hergestellt oder absichtlich verbreitet worden sei. Doch was sagt die Wissenschaft bisher dazu? Eine Mitte März publizierte Studiezeigt relativ eindeutig, dass das Virus einen natürlichen Ursprung hatte: Die Wissenschaftler untersuchten das Genom von SARS-CoV2 und verglichen es mit SARS-CoV, also dem Verursacher der SARS Epidemie in 2002, sowie anderen verwandten Coronaviren die in Fledermäusen oder dem Schuppentier vorkommen. Von speziellem Interesse ist dabei die DNA Sequenz, die für den Eintritt des Virus in die Wirtzelle verantwortlich ist. Diese Sequenz ist bei SARS-CoV2 identisch mit Viren im Schuppentier, aber ganz anders als die des ersten SARS Virus. 

Unter folgendem Link finden Sie eine Darstellung des SARS-CoV2 Genoms im Vergleich mit anderen Coronaviren (aus Andersen et al 2020 Nature Medicine, S.415)    https://www.nature.com/articles/s41591-020-0820-9.pdf

Ausserdem hätte man für den optimalen Eintritt in menschliche Zellen, durch die Bindung an unsere ACE2 Rezeptoren, eine ganz andere Sequenz vorhergesagt. Wegen diesem grossen Unterschied zum ersten SARS Virus und dieser unvorhergesehenen „Eintrittssequenz“ ist es also ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand das Virus künstlich hergestellt hat – das hätte man viel einfacher machen können. Ausserdem deutet die identische Eintrittssequenz beim Schuppentier darauf hin, dass das Virus tatsächlich erstmals von diesen Tieren auf Menschen übertragen wurde. Der Rest des Virusgenoms gleicht allerdings den Coronaviren, die man in Fledermäusen findet, woraus zu schliessen ist, dass Fledermäuse das Ursprungsreservoir darstellen, wie schon bei SARS und MERS. Verschiedene Studien haben bereits gezeigt, dass SARS-CoV2 das Potenzial, hat eine ganze Reihe anderer Arten zu infizieren, u.a.Katzen, Schweine, oder Affen. Neuere Studien bestätigen die Ähnlichkeit mit Fledermausviren und damit die hohe Wahrscheinlichkeit eines natürlichen Ursprungs, aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis die genaue Übertragungskette definitiv rekonstruiert werden kann (bei SARS dauerte das 15 Jahre). 

Mutiert das Virus? Wenn ja, in welche Richtung?

Oft hört man Bedenken, dass das Virus mutieren könnte, oder bereits mutiert ist. Um es vorweg zu nehmen, Viren mutieren ständig, doch das ist an und für sich kein Grund zur Sorge, denn die meisten Mutationen verändern die Funktion des Virus nicht. Dass SARS-CoV2 sich gezielt in eine Richtung entwickelt die es für den Menschen mehr oder weniger schädlich macht, ist zwar theoretisch möglich, aber wohl eher unwahrscheinlichund bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf. Nun zur langen Version.

Jedes Mal, wenn Erbgut kopiert wird können Fehler auftreten. Bei RNA, die nur einen einzelnen Strang hat, passiert das sogar noch deutlich häufiger als bei der doppelsträngigen DNA; RNA Viren (wie SARS-CoV2) haben also hohe Mutationsraten. Viren vermehren sich auch ausserordentlich schnell – vor allem im Vergleich zu einer Generationsdauer von zwei bis drei Jahrzehnten bei uns Menschen – es treten also in stetigem, rasantem Tempo Mutationen im Erbgut der Viren auf. Deshalb lässt sich die Evolution von Viren oder anderen Krankheitserregern wie Bakterien quasi live mitverfolgenVergleiche der Virusgenomehelfen also die Stammesgeschichte des Virus nachzuvollziehen; mit diesem Ansatz konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass SARS-CoV2 sehr wahrscheinlich erstmals anfangs Dezember 2019 auf den Menschen übertragen wurde, und sich vielerorts längere Zeit unerkannt ausgebreitet hat. Solche ständig auftretenden, oftmals „neutralen“ Mutationen (d.h. sie verändern die Funktion des Virus nicht) können also wichtige Informationen für die Bekämpfung der Pandemie liefern.

Mutationen helfen die Stammesgeschichte des Coronavirus, und damit seinen Ursprung und Verbreitung nachzuvollziehen. Bildlink:  https://www.scientificamerican.com/article/virus-mutations-reveal-how-covid-19-really-spread1/

Wie sieht es aus mit der Virulenz, also wie sehr das Virus den Wirt schädigt? Viren müssen sich, wie richtige Lebewesen, möglichst effizient fortpflanzen – die Eigenschaften desjenigen Virus, das am meisten Nachkommen in die nächste Generation bringt setzen sich im Laufe der Evolution durch. Das heisst, einerseits sollten Viren (oder andere Krankheitserreger, wie Bakterien oder Einzeller), den Wirt benutzen um so viele Kopien von sich selbst zu machen wie möglich; je mehr ein Krankheitserreger unsere Zellen für seine eigene Fortpflanzung missbraucht umso mehr schädigt er uns, d.h., desto grösser ist die Virulenz. Andererseits müssen die Viren aber auch sicherstellen, dass sie den Wirt nicht töten bevor sie einen neuen Wirt infizieren konnten, sonst wird der tote Wirt zur evolutionären Sackgasse. Es gibt also einen Kompromiss zwischen Virulenz und Übertragung, den sogenannten „virulence-transmission tradeoff“. Theoretisch sollte sich jeder Krankheitserreger in die Richtung entwickeln, die diesen Kompromiss optimiert. Dafür gibt es einige gute HinweiseBei Krankheitserregern, die durch Wasser oder Stechmücken übertragen werden (z.B. Cholera, Malaria, Dengue) spielt der Gesundheitszustand des Wirts für die Übertragung fast keine Rolle. Diese sind in der Regel viel schädlicher als Erreger, die durch direkten Kontakt übertragen werden (z.B. Erkältung, Grippe, STDs) und die voraussetzten, dass der Wirt sich noch einigermassen normal unter anderen Leuten bewegen kann.

anopheles
Krankheitserreger, die sich ohne Mittun des Wirts verbreiten können, schaden diesem mehr. Im Bild: Anopheles Mücke verbreitet Malaria

Photo James Gathany CDC, Anopheles albimanus mosquito, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons

Theoretisch könnte es also sein, dass eine Mutation auftritt, die ein Virus schädlicher macht. Was dann passiert hängt aber davon ab, wie leicht dieses neue Virus übertragen wird. Wenn Übertragung einfach ist könnte sich die neue Form des Virus durchsetzen da es den Wirt effizienter ausnutzt. Dieses Argument wird oft im Zusammenhang mit der sogenannten Spanischen Grippe von 1918/19 gemacht, als die engen Platzverhältnisse in den Schützengräben und Lazaretten des ersten Weltkriegs die Übertragung erleichterten; allerdings gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass das damalige Virus dadurch schädlicher wurde– die Sterblichkeitsrate veränderte sich nicht, der Krieg half ihm aber dabei, sich rasch auf der ganzen Welt auszubreiten und dadurch enorm viele Menschen zu töten.

sg
Militärnotfallkrankenhaus während der Spanischen Grippe in Kansas

Photo: National Museum of Health and Medicine, Armed Forces Institute of Pathology, Washington, D.C., United States., Spanish flu hospitalCC BY 2.5

Umgekehrt könnte ein Erreger im Laufe der Evolution weniger schädlich werden, wenn dessen Übertragung immer schwieriger wird. Das scheint zum Beispiel bei HIV der Fall zu sein, dessen Übertragung ja im Vergleich zu den ersten Ausbrüchen, als noch niemand etwas über den Erreger wusste, durch weitverbreitete Aufklärungskampagnen («STOP AIDS») und Schutzmassnahmen (Kondome, etc.) deutlich erschwert wurde. Insofern unser Verhalten die Übertragung beeinflusst können wir die Virulenzevolution also steuern! Dies wirft auch ein ganz neues Licht auf die heutigen Massnahmen gegen COVID-19 wie social distancing, Hände waschen, etc. – im Prinzip schützen wir uns damit nicht nur selbst und verhindern eine Ausbreitung der Pandemie, sondern wir selektieren vielleicht sogar eine «zahmere» Version des Virus. 

Soviel zu den theoretischen Möglichkeiten der Virulenzevolution. Bei SARS-CoV2 gibt es aber wie gesagt noch keine Hinweise für Mutationen, die die Virulenz beeinflussen. Und die nackten Zahlen dieser Pandemie sprechen auch eine andere Sprache: Mittlerweile (Stand 5.6.2020) sind über 6.5 Millionen Menschenmit dem Virus infiziert worden. Wenn in einem Patienten eine Virulenzmutation auftreten sollte, ist die Chance, dass sich jemand anderes mit der neuen Version des Virus infiziert also erstmals 1/6'500'000 und damit verschwindend klein. Ohne einen gewaltigen evolutionären Vorteil für die neue Mutation würde also vorerst einmal alles beim Alten bleiben